Hintergründe

Abstrakte Malerei, wie ich sie verstehe, hat viele Gemeinsamkeiten mit Musik. Beide drücken Gefühle aus, gleichzeitig aber bestehen sie aus mathematisch beschreibbaren Mustern. Deshalb ist meine Kunst sowohl emotionale Äußerung  als auch experimentelle Geometrie.

Ebenso wie in der klassischen europäischen Musik geht es in meinen Arbeiten um die Variationen eines Themas. Indem ein Motiv immer wieder in veränderter Form erscheint, wird die in ihm angelegte Vielfalt sichtbar. Es wird in seiner Tiefe erfahrbar: als Potenzial, als Quelle von Möglichkeiten.

Mein Kunstverständnis wurde zunächst von der europäischen Moderne geprägt. Gleichzeitig wären viele meiner Arbeiten kaum denkbar ohne die Begegnung mit der ornamentalen Kunst des islamischen Kulturraums. Von 2003 bis 2008 habe ich in China gelebt und dort neue Erfahrungen in meine Arbeit einfließen lassen.

Spielerisch überschreitet abstrakte Kunst kulturelle Grenzen: Sowohl ihre unmittelbar sinnliche Wirkung, als auch ihre Nähe zu den universellen Formen der Geometrie machen sie für Menschen unterschiedlichster Herkunft erfassbar. Das ermöglicht eine Kommunikation jenseits von Sprachbarrieren und Denktraditionen.

Leere

Dreißig Speichen laufen in der Radnabe zusammen.

Das Loch in der Mitte macht das Rad brauchbar.

(Laozi, Daodejing)

Abstrakte Kunst ist ein reines Spiel von Farben und Formen. Sie ist frei von Bedeutungen, sie macht keine Aussagen, sie repräsentiert nicht. In diesem Sinne ist sie leer.

Dadurch, dass sie leer ist, regt sie unsere Vorstellungskraft an, sie zu füllen. Wir entdecken aus dem Nichts Landschaften, Tiere, tanzende Figuren, Zeichen ... Es gibt keine Bedeutung - und doch kommt man mit dem Deuten nicht zu Ende. Sie ist sinnlos, aber sie fordert unsere Sinne heraus.

Abstrakte Kunst bietet durch ihre Leere eine Fülle von Annäherungsmöglichkeiten. Der Weg ist kurz, ob zu chinesischen Schriftzeichen, orientalischen Ornamenten, religiösen Symbolen oder archaischen Mythen. Zu alldem gibt es Resonanzen.

Und doch bleibt ein Rätsel übrig.

Bewegung

Linien auf dem Papier oder auf der Leinwand sind Spuren von Bewegungen. Malen ist Bewegung. Körperbewegung. Gefühlsbewegung. In den Linien eines Bildes spiegeln sich unsere inneren Zustände wieder. Ein Strich, mit einer heftigen Geste gemalt, wirkt energisch. Linien, in einer beschwingten Stimmung entstanden, erscheinen tänzerisch leicht und mühelos.  Wer einen perfekten Kreis malen möchte, muss seine eigene Mitte finden.

Als ich anfing zu malen faszinierte mich vor allem diese expressive Seite der abstrakten Malerei. Ich malte sehr schnell. Ein Bild sollte spätestens nach ein paar Minuten fertig sein, damit sich in ihm nicht so viele unterschiedliche Stimmungen mischen. Ich versuchte den Linien freien Lauf zu lassen, ohne Plan, ohne Kontrolle. In den Bildern, die daraus entstanden, hoffte ich, mich selbst zu finden, einen tieferen Kern, zu dem mein alltägliches Denken nicht vordringen konnte.

War das, was ich anschließend als Bild in der Hand hielt, eine Botschaft meiner Seele oder war es nur der Bewegungsapparat meines Körpers, nach dessen Maßen sich die Formen des Bildes gestalteten? Ich wusste es nicht.

Rhythmus

Wir nehmen Dinge anders wahr, wenn sie sich wiederholen. Durch mehrere Töne hintereinander entsteht ein Rhythmus. Wenn wir Musik machen, wiederholen wir Rhythmen. Unser Leben besteht aus Rhythmen. Unser Herzschlag, unsere Atmung, Wachen und Schlafen, alles folgt Rhythmen. Auch die Natur folgt Rhythmen. Tag und Nacht, die Gezeiten, der Wechsel der Jahreszeiten.

Vielleicht lieben wir Rhythmen weil sie so sehr unseren grundlegenden Erfahrungen entsprechen. Vielleicht auch, weil sie uns Kontinuität versprechen. Sie geben uns ein Gefühl von Stabilität. Wer die Rhythmen kennt, kann die Zukunft ein Stück weit vorhersagen.

Mehrere Pinselstriche auf Papier. Sie sind ein Rhythmus, Spuren einer wiederholten Bewegung über das Blatt. Aus einer zeitlichen Abfolge ist ein räumliches Nebeneinander geworden. Eine sich wiederholende Strichbreite ist wie der Takt in einem Musikstück. Gerade wenn man die Spuren des Werkzeugs so deutlich erkennt, entstehen starke visuelle Rhythmen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür liefern die Bilder Vincent van Goghs.

Wenn man zähflüssige Farben mit einem einfachen Spachtel aufträgt, entstehen an beiden Strichrändern leichte Erhebungen. So entstehen bereits mit einem Strich zwei Linien. Noch geeigneter als Rhythmusinstrument sind Zahnspachtel, wie sie zum Beispiel Plattenleger verwenden. Mit einer Bewegung kann man viele Parallelen erzeugen, alle im gleichen Abstand  zueinander.

Jahrelang war der Spachtel mein liebstes Malwerkzeug. Auch das Grundmuster aus dem ich meine Fliesen entwickelt habe, besteht aus Spachtelstrichen.

Frottagen

Wenn man ein Blatt Papier auf einen harten, unebenen Untergrund legt und dann mit einem Wachs- oder Kohlestift über das Papier reibt, dann erhält man eine recht detailgenaue Kopie dieses Untergrunds. Man kann das auch mit einer Münze, Papier und Bleistift ausprobieren. Diese Technik, die in der modernen Kunst vor allem von Max Ernst angewandt wurde, nennt man Frottage.

Ich hatte Bilder, die ich mit einem Spachtel hergestellt hatte. Durch die Farbreste die an beiden Rändern des Spachtelstriches stehen geblieben waren, hatten diese Bilder eine reliefartige Oberfläche. Eines Tages kam ich auf die Idee, von diesen Bildern Frottagen zu machen. So konnte ich Motive vervielfältigen und unterschiedlich kolorieren. Ich begann, Serien mit mehreren Variationen eines Grundmotivs zu machen.

Irgendwann entdeckte ich, dass es auch möglich war, Frottagen von den Rückseiten der Reliefbilder zu machen. Dann zeichnete das Relief sich spiegelverkehrt ab. In der Folge arbeitete ich viel mit den Symmetrien, die sich daraus ergaben.

Diese Entwicklung war nicht geplant. Ich war selbst überrascht davon. Ich hätte meine Malerei lange Zeit eher als spontan, wild, expressiv bezeichnet. Aber plötzlich war da die strenge Ordnung der Symmetrie.

Entwicklung

Alle Fliesen, die ich entwickelt habe sind aus einem einzigen Grundmotiv entstanden. Dieses Motiv ist ein quadratischer Ausschnitt eines Bildes, das ich im Jahre 1991 innerhalb weniger Sekunden mit einem Spachtel und einfachen Baumarkt-Wandfarben auf ein Blatt Papier aufgetragen habe. Irgendwann später kam ich auf die Idee, dieses Motiv mit Hilfe der Frottagetechnik zu vervielfältigen. Ich habe auch spiegelverkehrte Frottagen von der Rückseite des Blattes gemacht. Dann habe ich das Motiv längs, quer oder diagonal halbiert und mit dem spiegelverkehrten Gegenstück wieder zu einem Quadrat ergänzt. So entstanden neue Fliesen, mit denen ich wieder das Gleiche tat. Nach kurzer Zeit hatte ich so eine große Anzahl verschiedener Motive, die sich miteinander kombinieren ließen, da sie durch ihren Entstehungsprozess übereinstimmende Kanten hatten. Einige wenige Motive habe ich nachträglich ein wenig verändert, aber nur minimal. Aus den Fliesen habe ich dann abstrakte Kompositionen zusammengefügt. Schon bald merkte ich, dass die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten astronomisch war.  Im Laufe dieser Arbeit entdeckte ich in den entstehenden Mustern Sterne, Schlangen, Fische, Vögel, Blumen, Wellen, Augen ... Jahre später, als ich mich mit der chinesischen Kultur beschäftigte entstanden aus den gleichen Fliesen chinesische Schriftzeichen. Die Fliesenmotive habe ich auch für Spielkarten, Computerspiele und Animationen verwendet. Sie waren auch die Grundlage für zahlreiche digital verfremdete Bilder, die sich zum Teil weit von den Ursprüngen wegentwickelt haben. Die Fliesen haben mich auch in Kontakt mit Keramikmanufakturen in verschiedenen Ländern gebracht. Egal, wie lang mein Leben sein wird - ich werde nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen können, die sich aus ein paar flüchtig dahingeworfenen Linien ergeben haben.

Seither weiß ich: Von jedem kleinen Punkt aus gehen Wege ins Unendliche. Es ist einzig unsere kreative Energie, die aus einer Nichtigkeit im Laufe der Jahre ein unerschöpfliches Universum wachsen lassen kann. Wenn wir diese Energie fließen lassen, stellen sich die Ergebnisse von selbst ein. Es bedarf keines Planes. Es reicht, sich treiben zu lassen und zu staunen.

Symmetrie

Bei manchen meiner Fliesen-Kompositionen geschieht es oft, dass sich Betrachter an traditionelle Ornamente unterschiedlicher Kulturen erinnert fühlen.

Bevor meine Fliesen-Muster entstanden waren, hatte ich auf Reisen die maurischen Fliesen Südspaniens und türkische Teppiche kennen gelernt. Ohne diese Begegnungen wäre ich womöglich nie auf die Idee gekommen, Fliesen zu entwerfen oder überhaupt mit Symmetrien zu arbeiten.

Aber meine Fliesen erwuchsen trotzdem nicht aus einer alten Tradition, sondern aus der spielerischen Weiterentwicklung eines Motivs, das ich im Stile der abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts gemalt hatte.

Es war für mich eine überraschende Erkenntnis: Indem man versucht, das Moderne weiter zu entwickeln, kann sich der Kreis schließen und man kommt wieder bei traditionell anmutenden Formen an.

Mittlerweile denke ich, dass daran nichts Ungewöhnliches ist. In vielen Kulturen haben sich unabhängig voneinander symmetrische Elemente entwickelt. Wir empfinden Symmetrien als schön, weil sie zu unserer Natur gehören. Unsere Körper sind symmetrisch, ebenso wie Pflanzen und Tiere. Wo Leben ist, entsteht Symmetrie.

So ist der Weg zur Symmetrie nicht weit, egal wo und wann Menschen bildnerisch tätig sind. Wie in der Musik der 4/4 Takt, so gehört bei den visuellen Formen die Symmetrie zum allgemeinen menschlichen Erbe.

Der kreative Prozess

Als ich  anfing abstrakte Bilder zu malen, hatte ich noch keine Idee davon, dass ich ein paar Jahre später diese Bilder wieder verwenden würde, um ihre Linien mit Hilfe der Frottagetechnik zu vervielfältigen, um dann durch unterschiedliche Farbgestaltung immer wieder neue Variationen eines Themas zu entwickeln.

Als ich anfing Frottagen zu machen, hatte ich noch keine Ahnung, dass ich dabei entdecken würde, wie ich auf einfache Art symmetrische Formen entwickeln konnte. Und als ich die ersten symmetrischen Bilder herstellte, wusste ich noch nicht, dass daraus bald ein jahrelanges Experimentieren mit Fliesenmotiven hervorgehen sollte.

Als ich die Fliesen entwickelt hatte, wollte ich damit einen Katalog machen. Den Computer wollte ich dabei eigentlich nur für das Layout benutzen. Ich hatte damals noch Vorbehalte gegen Computerkunst. Ich hätte nicht gedacht, dass ich schon wenig später am Computer interaktive Spiele und Animationen mit meinen Fliesenmotiven entwickeln würde.

Vom Ergebnis her betrachtet erscheint die Entwicklung meiner Kunst geradlinig. Es gab keine Umwege, jede Stufe baute auf der vorausgegangenen Arbeit auf. Aber ich sah bei alldem immer nur die Ergebnisse, nie die nächste Etappe, so wie ein Zugreisender, der mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzt, immer nur die Landschaft sieht, die er bereits durchquert hat.

Wenn ich mir am Anfang meines Weges vorgenommen hätte, Kompositionen aus Fliesen oder gar Computeranimationen herzustellen, wäre ich an dieser Aufgabe womöglich verzweifelt. Dabei war alles so leicht. Es war ein Spiel. Es ist nicht wichtig, ob wir wissen was wir tun. Vielleicht ist es sogar nicht einmal so wichtig, womit wir anfangen. Wir können uns auf die eigene Dynamik des kreativen Prozesses verlassen.

Farbharmonie

In der Musik gibt es den Grundton und die Dominante. Wenn man sich vom Grundton aus sieben Halbtonschritte nach oben oder fünf Halbtonschritte nach unten bewegt, gelangt man zur Dominante. Es gibt auch die Subdominante, die sich vom Grundton aus fünf Halbtonschritte nach oben, beziehungsweise sieben Halbtonschritte nach unten befindet.

Ich hänge der Ansicht an, dass sich dieses Schema auch bis zu einem gewissen Grad auf die Malerei übertragen lässt. Wenn wir den Farbkreis in zwölf Farbtonschritte einteilen (blau, blaugrün, grün, gelbgrün, gelb, gelborange, orange, rotorange, rot, rotviolett, violett, blauviolett) dann ergeben sich für den Grundfarbton blau als Subdominante und Dominante die Farbtöne gelborange und rotorange, für den Grundfarbton rotorange sind es dementsprechend blau und grün. Dominante und Subdominante stehen dabei in einem besonderen Spannungsverhältnis zum Grundfarbton.

In manchen meiner Bilder habe ich bewusst mit dieser Entsprechung zur Musik gearbeitet. Aber so, wie man beim Singen normalerweise nicht an die Musiktheorie denkt, so ist auch die Farbgestaltung der meisten meiner Bilder aus dem Gefühl entstanden und nicht aus theoretischen Überlegungen. Und doch, wie man beim Singen gefühlsmäßig von der Dominante zum Grundton übergeht, auch wenn man beide Begriffe noch nie gehört hat, so folgt auch die unbewusste Farbauswahl bestimmten Regeln.

Tiefe

Wir neigen dazu, Skulpturen als dreidimensionale Kunst, Malerei aber als zweidimensionale Kunst zu sehen, in der die dritte Dimension höchstens als Illusion entsteht.

Genau genommen ist diese Betrachtungsweise aber falsch. In Wirklichkeit ist auch eine Leinwand oder ein Blatt Papier ein dreidimensionaler Gegenstand. Auch die aufgetragene Farbe hat eine räumliche Ausdehnung. 

Wenn man mit Aquarellfarbe oder Tinte auf Papier malt, dann dringt die Farbe tief in das Papier ein. Wenn man hingegen mit Wachsstiften auf Papier malt, dann bleibt die Farbe auf der Oberfläche. Wenn man nun zunächst mit Wachs und anschließend mit Aquarell auf Papier malt, dann scheint es trotzdem im Nachhinein, als seien die Farben in entgegengesetzter Reihenfolge verwendet worden. Die untere Farbschicht halten wir für die erste.

Diese Täuschung entsteht aufgrund der räumlichen Tiefe des Bildes. Die Tiefe hingegen ist keine Täuschung. Sie ist ganz real. 

Individualität und Masse

Unser Zeitalter versteht sich selbst als ein Zeitalter des Individualismus. Betrachtet man aber das, was es hervorbringt, dann scheint das genaue Gegenteil der Fall zu sein. Wir leben im Zeitalter der Massenproduktion, der großen industriellen Serien. Gleiches reiht sich an Gleiches: die Waren im Supermarktregal, die Autos auf der Straße - und in dem Kino am anderen Ende der Welt läuft der Film, den man gerade zu Hause gesehen hat.

Wir haben die Möglichkeit unser Leben weitgehend nach unseren individuellen Vorstellungen zu leben. Und doch werden wir immer wieder von Massenstimmungen, Massenmeinungen, Massengeschmäckern angesteckt. Wir leben im Spannungsfeld von Masse und Individualität.

In diesem Spannungsverhältnis stehen auch meine Fliesen-Bilder. Sie sind aus immer wieder den gleichen Grundmustern zusammengesetzt, und doch entsteht Individualität, indem die einzelnen Fliesen sich unterschiedlich zu ihren Nachbarfliesen verhalten, je nachdem, wie man sie legt, was oben und unten, was links und rechts ist. So entstehen Kompositionen, in denen es weite durchgehende Linien ebenso gibt, wie einzelne abgesonderte Gruppen und oppositionelle Anordnungen. Durch die unterschiedliche Organisation des immer Gleichen ist eine unendliche Vielfalt möglich. Wenn nur ein Teil sich verändert, verändert sich das gesamte Bild.

Energie

Die Linien eines Bildes haben immer einen Bezug zum Bildrand. Sie können parallel dazu verlaufen oder sie können sich auf ihn zu bewegen. Sie können ihn auch optisch durchbrechen.

Ein Bild in dem keine Linie den Bildrand durchbricht, wirkt eher in sich geschlossen. Wenn hingegen alle Linien über den Bildrand hinaus zu gehen scheinen, wirkt das Bild nach außen offen. Der Bezug zu dem, was außerhalb liegt, wird stärker. Ein Bild kann auch nach manchen Seiten hin geschlossen und nach anderen hin offen sein.

Dadurch kann der Eindruck eines Energieflusses entstehen. Energien werden durch das Bild in bestimmte Richtungen gelenkt. Von rechts nach links oder aus dem Zentrum nach oben. Dadurch beeinflussen Bilder sehr stark die Umgebung, in der sie sich befinden, sie können die Atmosphäre in einem Raum völlig verändern.

Deshalb ist das Anbringen von Bildern selbst ein höchst kreativer Akt. Raum und Bild müssen zusammen passen. Vor allem mit meinen Fliesen-Bildern möchte ich nicht nur Flächen, sondern auch Räume gestalten.